Cicero 10.11.2022 Ehemaliger US-Botschafter über die Midterm Elections –


„Die republikanische Partei ist eine leere Hülle geworden“

 

Nach dem überraschenden Ergebnis der Midterm Elections sieht der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, einen schmutzigen Kampf zwischen Donald Trump und Ron DeSantis kommen. Und er kritisiert die „ängstlichen Europäer“.

Das Interview führte Ulrich Thiele

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Herr Kornblum, die angekündigte „Red Wave“, also ein Erdrutschsieg der Republikaner, ist ausgeblieben. Dabei verkündeten Demoskopen im Vorfeld, dass die meisten Wähler den Republikanern bei der Inflations- und Kriminalitätsbekämpfung – angeblich die Themen mit höchster Priorität – mehr Kompetenz zutrauen als den Demokraten. Warum haben Letztere dennoch verhältnismäßig gut abgeschnitten?

Der Wahlkampf war sehr emotional, und man konnte nicht sicher sein, welche Fragen für die Mehrheit der Wähler wirklich eine Rolle spielten. Vor allem die Republikaner setzten im Wahlkampf eher auf konservative Bekenntnisse als auf logische Wahlkampftaktik. Jetzt weiß man, dass das Abtreibungsrecht für die Wähler eine große Rolle gespielt hat und die Republikaner sich mit ihren Verboten ins eigene Bein geschossen haben.

Damit haben sie die Hardliner erreicht, aber die anderen Wähler, vor allem die Wechselwähler, nicht. Das Ergebnis zeigt aber auch, dass das Land womöglich nicht so gespalten und aufgeheizt ist, wie man meint.

Dem Thema Recht auf Abtreibung haben die Demokraten im Wahlkampf hohe Priorität eingeräumt. Viele werteten das als Fehler, weil andere Themen wichtiger seien. Außerdem sollen sich laut einer Umfrage Zwei Drittel der Amerikaner dafür ausgesprochen haben, dass Biden nicht noch einmal antritt. Das heißt, die Demoskopen lagen mal wieder phänomenal daneben.

Ja, vielleicht ist Biden doch nicht ganz so unbeliebt, auch wenn er sicherlich nicht gut dasteht momentan. Die Demoskopen sind mit ihrem Latein mehr oder weniger am Ende, sie müssen eigentlich ihre Methoden grundsätzlich neu überdenken.

 Zum Beispiel die meinungsbildende Funktion der Social Networks scheint nicht ausreichend einkalkuliert worden zu sein – oder die Tatsache, dass die Menschen zunehmend kein Festnetz mehr haben und die Demoskopen trotzdem meistens nur Festnetznummern anrufen.

Allein das Thema Abtreibungsrecht wird wohl kaum so viele Wähler von den Demokraten überzeugt haben.

Das stimmt, ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass die Republikaner schlechte Kandidaten aufgestellt haben, zum Beispiel in Pennsylvania und in Georgia.

Was bedeutet das Ergebnis für Kevin McCarthy, der das Repräsentantenhaus übernehmen will und sich nach den ersten Ergebnissen selbstbewusster präsentierte, als es die mittlerweile bekannten Ergebnisse hergeben.

Die Frage ist, was das Ergebnis für Donald Trump bedeutet. McCarthy wird seine Strategie auf der Basis von Trump und seiner Wirkung bauen.

Auf Trump wäre ich noch gekommen.

Ich glaube, das ist ein und dieselbe Frage. Denn die Republikaner betreiben keine unabhängige Politik. McCarthy hat sich komplett bei Trump verpfändet. Fast alle anderen Republikaner auch. Sie müssen sich nur ansehen, was mit den republikanischen Abgeordneten geschehen ist, die im Januar 2021 für ein Amtsenthebung von Trump gestimmt haben – sie sind in den Vorwahlen ausgeschlossen worden.

Aber Trumps Kandidaten, wie zum Beispiel Mehmet Oz in Pennsylvania und Kari Lake in Arizona, haben deutlich schlechter abgeschnitten als erwartet. Bis auf eine Ausnahme: Robert Johnson in Wisconsin.

Dazu muss man sagen: Wisconsin war schon immer eine Ausnahme. Wie gesagt: Die Republikaner haben viele schlechte Kandidaten, aber Johnson ist mit Sicherheit der schlechteste von allen. Dass er offenbar gewinnt, ist eine Schande. Dieser Mann ist nicht mehr zurechnungsfähig, und jeder weiß das. Aber Wisconsin kann man nicht mit normalen Maßstäben messen.

Was bedeuten die schlechten Ergebnisse also für Trump?

Vielleicht ist das ein kleines Zeichen, dass sein Einfluss doch nicht so groß ist, wie man meint. In den kommenden Monaten werden wir sehen, ob die Republikaner wirklich so trumphörig sind, wie es bisher schien. Die Wahl ist ein blaues Auge für ihn, aber er wird sich vermutlich irgendetwas ausdenken und behaupten, die Wahlen seien manipuliert gewesen und die Republikaner könnten 2024 nach wie vor nur mit ihm gewinnen. Er ist ja sehr narzisstisch und lebt nicht in der realen Welt, wie wir wissen. Die Tragödie der Republikaner ist, dass sie alle kleinen Anhängsel von Trump geworden sind – aber das Wahlergebnis zeigt, dass sich das nicht immer lohnt.

Trumps Konkurrent Ron DeSantis hat einen Erdrutschsieg in Florida hingelegt. Trump hat offenbar Angst vor ihm und ihm bereits gedroht, er solle nicht gegen ihn antreten. Kann er ihm gefährlich werden?

Ja, zumal andere republikanische Trump-Gegner ebenfalls gut abgeschnitten haben. Beide werden jetzt versuchen, mit sehr viel Strategie und gezinkten Karten einander auszuschalten. Es ist schwer, Prognosen abzugeben, aber was man sagen kann, ist: Die republikanische Partei ist eine leere Hülle geworden. Es hat in den vergangenen Monaten kaum parteiinterne Politik, Sachdiskussionen und Loyalitäten gegeben. Jeder rettet sich selbst vor der Lawine aus Bitterkeit, Verärgerung und Ablehnung, die Trump bei vielen Wählern ausgelöst hat.

Konservative in Europa loben DeSantis als moderate Alternative zu Trump. Dabei tritt er nur weniger krawallig auf, politisch ist er ähnlich radikal. Wie schätzen Sie ihn ein?

Er ist sehr intelligent und wenn man sich seine Reden ansieht, kann man sehen, dass er vor sechs Jahren noch nicht so rechtsradikal war, wie er jetzt ist. Ich nehme an, er ist, wie alle in der republikanischen Partei, ein Opportunist.

Inwiefern?

Es gibt niemanden in der republikanischen Partei, der in den vergangenen Jahren Erfolg hatte, wenn er nicht mit auf die Trump-Stimmung aufgesprungen ist. DeSantis hat das auch getan: Er hat Gesetze verabschiedet bezüglich Flüchtlinge und Homosexuelle, die einfach

unmöglich, nicht mehr vertretbar und diskutierbar sind. Natürlich hat er das getan, um Wählerstimmen zu gewinnen. Mit Erfolg.

Die Republikaner werden voraussichtlich die Mehrheit im Repräsentantenhaus erhalten. Was bedeutet das für die politischen Pläne der Demokraten?

Die Republikaner werden natürlich versuchen zu blockieren, aber Sie dürfen nicht vergessen: Es ist normal, dass ein Präsident nach zwei Jahren einen Denkzettel verpasst kriegt. Die Fälle, in denen die Opposition nicht die Mehrheit im Repräsentantenhaus bekommen hat, sind selten. 2002 bei George W. Bush war das der Fall, weil so kurz nach 9/11 eine stark patriotische Stimmung herrschte. Die gute Nachricht für die Demokraten – und aus meiner Sicht auch für das Land – ist, dass Biden vor der Wahl sehr erfolgreich war mit dem Durchbringen seines Programmes durch den Kongress im Frühjahr 2022: Das Gesetzespaket zur Inflationsbekämpfung mit Subventionen für Alternativenergie, der Herabsetzung von Medikamentenpreisen, der Erweiterung von Obamacare, dem Microchip-Gesetz, dem Veteranen-Unterstützungsgesetz und dem ersten wichtigen Waffenkontrollgesetz seit 30 Jahren wurde von National Public Radio als das produktivste Programm seit Jahrzehnten tituliert.

Sie sind ehemaliger US-Botschafter in Deutschland. Wie würde sich ein Wahlsieg der Republikaner auf die amerikanisch-deutsche Beziehung auswirken?

Eigentlich spielte Außenpolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle. Ich nehme an, dass die Republikaner die bestehende Politik weiterhin unterstützen würden. Eigentlich waren es Mitglieder des linken Flügels der demokratischen Partei, die neulich die Ukraine-Politik der Administration in Frage gestellt haben.

In Europa würde eine Wiederwahl Trumps vermutlich Panik auslösen.

Die New York Times hat heute berichtet: „Das gute Abschneiden der Demokraten stillt mindestens vorläufig die Nerven der ängstlichen Europäer.“ Es ist schwer, diese Nervosität ernst zu nehmen. Der zweite Weltkrieg liegt fast 80 Jahre zurück. Unsere westliche Gemeinschaft ist stark und stabil. Aber muss Amerika weiterhin für alles zuständig sein? Anscheinend ja. Wie seit eh und je, sind die Amerikaner in den Augen der Europäer entweder zu weich oder zu stark. Ohne uns gäbe es bestimmt keine EU. Und wie die Ukraine-Krise gezeigt hat, sind wir weiterhin bereit, diese Last zu tragen. Aber ein bisschen mehr Verantwortung und weniger Panik seitens der Europäer würde der transatlantischen Partnerschaft wirklich guttun.

Können Sie das erläutern?

Die Europäer scheinen sich immer noch in einem traumatischen Zustand zu befinden. Wenn die Amerikaner nicht völlig stabil sind, dann sagen die Europäer immer wieder: Wir müssen uns trennen, Europa muss unabhängig und souverän sein. Das ist natürlich nicht ernst gemeint. Aber solche Sprüche schaden dem Westen, gerade zu dem Zeitpunkt, wo der Westen stärker sein müsste. Die Europäer sollten sich nicht immer fragen, inwiefern das, was in den USA passiert, sich auf sie auswirkt. Sondern sie sollten sich fragen, was sie tun können, um die Bindungen mit den USA zu stärken.

Und wie können sie das?

Indem sie ein bisschen mehr Verantwortung auf sich nehmen, in der Verteidigung, aber auch in der Handelspolitik. Wir dürfen nicht vergessen: Wir hatten vor sechs Jahren einen gut ausgearbeiteten Vorschlag für einen Handelsvertrag zwischen Europa und Amerika. Der Vertrag wäre zu Europas Vorteil gewesen, aber er wurde letztendlich von der deutschen Politik torpediert. Und dann beklagen die Europäer, die Amerikaner seien so übermächtig, Europa müsse souveräner werden.

 Europäische Politik ist immer noch der illusionäre Versuch, das alte Europa als geopolitische Macht wiederherzustellen. Und das just zu der Zeit, wo eine neue post-industrielle Zeit auf uns zugaloppiert.

Es ist vollkommen egal, wie die amerikanischen Wahlen ausgehen, wenn Europa nichts tut, um die westliche Welt zu stärken. Gerade in diesen Zeiten, in denen der Ukraine-Krieg die Welt erschüttert und China immer mächtiger wird, wird der Westen schwächer. Aber mit solchen Appellen scheint man bei den Europäern nicht durchzudringen.

Ich vermute, die 100 Milliarden für die deutsche Bundeswehr und die Erhöhung des Etats begrüßen Sie.

Grundsätzlich ja, aber das bedeutet weniger, als man meint. Erst einmal müssen wir sehen, wann das Geld überhaupt ausgegeben wird. Und zweitens hat sich an der deutschen außenpolitischen Strategie nichts geändert. Die 100 Milliarden waren ein Bekenntnis von Scholz, mehr aber bisher noch nicht.

Dr. Nikolaus Uhl, LL.M. 🎗️

Venture Capital and M&A Expert I Transaction Specialist I Partner at GreenGate Partners

1 Jahr

Leere Hülle oder nicht, aber leider noch stark genug, um die Demokratie zu gefährden.

Duncan Miller

Expert Climate Change Advocacy, Geopolitics and Artificial Intelligence at Freelance Inc.

2 Jahre

Excellent analysis John Kornblum . 👍 The #europeans and in particular the Germans have to step up their efforts to take a leading role in European #defence politics. Another take-away: John Kornblum will not be hired as #ceo of #tourism in #wisconsin 😜🤣

Christian Kastner MSc, MBA

Sales Director || Sales + Leadership Pro || An Owl 🦉 with Millennial Energy || Editor + Author || Lifelong Learner || Proud Dad of 2 || 🇩🇪 gerne "per Du" 🇩🇪 ||

2 Jahre

Die EU war eine Idee von Winston Churchill, aber ich gebe Ihnen insofern recht, als das Europa ohne Amerika nicht überlebensfähig wäre (zumindest in der Verteidigung).

Ned Wiley

Counselor Emeritus at Independent Consultant

2 Jahre

Most of it very well analysed and said. Except for Wisconsin, of course, but you'll never get over that (Go Badgers!). Plus I'm not so entranced by NPR's laudation of Bidenomics. Time will tell. But his chances of getting reelected two years from now? I'd give that maybe 25% chance: what's your guess?

Mirco I. Richardson â“‹

Area Sales Manager Asia / Gebietsverkaufsleiter Asien

2 Jahre

"Aber Wisconsin kann man nicht normalen Maßstäben messen." Love it.

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